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Nicht wenige 600er Piloten dürfte der Gedanke plagen sich hubraumtechnisch zu erweitern. So werden die Starterfelder in dieser Klasse immer leerer und seitens der Industrie kommt nicht mehr viel brauchbares neues. Suzuki und Triumph haben sich aus dem Segment scheinbar dauerhaft zurückgezogen. Honda bringt zwar just eine neue 600er, aber aufgrund der Umweltbestimmungen nicht in Europa. Aprilia brachte 2020 die RS660 auf den Markt, mit 100PS ist sie aber mindestens auf der Rennnstrecke nicht konkurrenzfähig. MV Agusta hat noch die 2012 eingeführte F3 im Programm, die zwar mit einem sehr ansprechendes Design aufwartet, allerdings sehr exotisch und teuer ist. Auch gilt sie in Fahrerlagerkreisen nicht gerade als zuverlässige Kandidatin. Aktuelles Material gibt es also im Prinzip nur noch bei Kawasaki mit der ZX6-R und Yamaha mit der R6.
Mit einigen weiteren Gedanken waren das auch für mich Überlegungen nach 8 Jahren den Schritt zu den 1000ern zu wagen. Wie ergeht es einem da? Was ändert sich damit?

Eine Kostenfrage

Schon vor dem Kauf der SC77 war mir klar, dass Teile und Co. einiges teurer als für meine alte Triumph sein dürften. Aber es ist doch erschreckend, wie wenig Material dafür auf dem Gebraucht- und Zubehörmarkt zu finden ist. Am deutlichsten merkt man dies, wenn man auf der Suche nach einem 2. Felgensatz ist. Ich habe über das gesamte Jahr keinen gebrauchten OEM Felgensatz im ganzen weiten Internet gefunden. Generell kann man aber sagen, dass Gebrauchtteile für das Motorrad doppelt so teuer sind, wie zuvor bei der Triumph gewohnt. Da das Motorrad selbst auf dem Gebrauchtmarkt und eben auch neu (mehr) als doppelt so teuer ist / war, ist das natürlich auch irgendwo normal.
Es gibt allerdings einen Grund warum die Menschen bereit sind, soviel mehr Geld auszugeben: Das Fahrgefühl. Handling & Co. sind definitiv auf dem Niveau einer 600er. Das Image von der „klobigen, schweren 1000er“ ist längst überholt und gehört ins Reich der Mythen. Aber der Schub den so ein Gerät generiert ist einfach bombastisch. Solange man die Maschine halbwegs auf Drehzahl hält, ist überall mehr als genug Druck da. Fahrerisch muss man damit allerdings einen wenn auch spaßigen Nachteil in Kauf nehmen: Die Wheelieneigung wird zu einem kleinen Problem. Konnte man vorher mit der 600er bedenkenlos beim Verlassen der Schräglage voll aufziehen ist nun deutlich mehr Feingefühl gefragt. Zwar helfen einem die elektronischen Schutzengel hier, bei groben Schnitzern sind aber auch die mal überfordert.

Elektronische Nettigkeiten


Das Thema Elektronik bzw. Fahrhilfen oder wie auch immer man es nennen mag, sorgt im Fahrerlager ebenfalls regelmäßig für gespaltene Ansichten. Ich für meinen Teil finde die elektronischen Features super, auch wenn Traktionskontrolle und Co. sehr weit runtergestellt sind. Mit das beste an der Elektronik ist der Blipper. Damit macht hoch- und runterschalten einfach nur richtig Spaß. Das elektronische Fahrwerk hat auf der Landstrasse sehr gut funktioniert, aber auf der Rennstrecke habe ich es mittlerweile auf manuellen Modus umgestellt. Was aber wirklich etwas nervt ist das Kurven-ABS, was wohl auch der Grund ist, warum viele Fahrer das ABS entfernen. Bei einer Bremsung auf der Geraden ist das ABS jedenfalls sehr nah dran oder sogar besser, an dem was ich selbst könnte. Vorteil mit ABS ist dann, dass ich mehr Konzentration für andere Dinge während des Bremsvorgangs aufbringen kann und der Bremsvorgang sehr verlässlich und immer gleich abläuft. Das erleichtert dann wiederum das finden der „neuen“ Bremspunkte, was beim Umstieg auf die 1000er eben auch nötig ist, da die Geschwindigkeiten am Ende der Geraden deutlich anders sind.

Mehr Power = mehr Verbrauch?

Apropos anders – im Vorfeld habe ich mir viele Gedanken gemacht, ob ich die 1000er auf der Rennstrecke von der persönlichen Kraftreserve her bändigen kann. Glücklicherweise konnte ich recht schnell feststellen, dass die höheren Brems- und Beschleunigungswerte diesbezüglich fast nichts ändern. Wer also dieselben Überlegungen anstellt, kann diesen Punkt von seiner Liste getrost streichen.
Ebenfalls im Vorfeld wurde mir erzählt, dass die Verbräuche von Reifen und Co. sich bei der 1000er immens steigern werden. Aber auch das ist ein Märchen. Vielleicht entsteht dies, weil der ein oder andere mit dem Umstieg auch ein Wechsel der Reifenmarke vollzogen hat. Ich persönlich bin bei Bridgestone geblieben und habe lediglich von der V01 Serie hinten auf die V02 gewechselt. Der Reifenverschleiß ist nahezu identisch, ggf. sogar etwas geringer. Auch der Benzinverbrauch hat sich quasi nicht geändert.

Würde ich wieder so entscheiden?

Also alles in allem war es eine super Entscheidung. Rückblickend hätte ich vielleicht sogar eher wechseln sollen, auch wenn der Anfang auf einer 600er sicherlich richtig war und ich lange viel Spaß damit hatte. Das raketenartige Gefühl auf einer 1000er ist aber noch einmal was ganz anderes und wer ähnliche Gedanken wie ich damals hat, sollte auf jeden Fall mal Probefahren gehen.
Zum Schluss vielleicht noch die Antwort auf die mir meistgestellte Frage von anderen Fahrern: Ja, inzwischen bin ich schneller mit der 1000er, aber das hat auch ein paar Veranstaltungen gedauert.

In diesem Sinne,
Gas ist rechts!

Euer Philipp #76

Author Philipp Wiehe

Motorradfahrer, Schrauber und Hobbyracer aus Leidenschaft. Ein Leben ohne zwei Räder ist kein Leben.

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